Ein Treffer für die Geschichtsbücher

Der Brasilianer Alex Alves hielt Hertha BSC drei Jahre lang in Atem

Autor: Michael Jahn

Torjubel: Alex Alves im September 2000 beim 2:0-Sieg gegen den VfB Stuttgart. Foto: imago images/contrast

Die Aufregung war groß, als der Brasilianer Alex Alves, mit vollem Namen Alexandre Alves do Nascimento, Ende 1999 in Tegel landete. Der Torjäger aus dem Land des vielmaligen Weltmeisters war lange von den Scouts von Hertha BSC beobachtet und von Manager Dieter Hoeneß, der unbedingt einen Star präsentieren wollte, vollmundig angekündigt worden. Der Pulk der Reporter in Tegel musste lange warten, Alves kam mit Verspätung an.

Mit seiner Verpflichtung drangen die Herthaner, die gerade zum ersten Mal in ihrer Geschichte die finanziell lukrative Champions League erreicht hatten, in neue wirtschaftliche Dimensionen vor. Angreifer Alves kostete 15,2 Millionen Mark Ablöse (heute rund 7,6 Millionen Euro), die an Cruzeiro Belo Horizonte flossen. Zuvor galt Abwehrmann Marko Rehmer, deutscher Nationalspieler, als teuerster Einkauf. 1999 hatte Hertha 3,5 Millionen Mark für Rehmer an Hansa Rostock überwiesen. Nun also Alves, der erste Brasilianer bei Hertha. Viele Jahre blieb er der Rekordtransfer des Klubs, ehe ihn Davie Selke 2017/18 ablöste und acht Millionen Euro Ablöse kostete.

„Ich will mit Hertha BSC Deutscher Meister werden und über diesen Weg in die brasilianische Nationalmannschaft kommen“, nannte Alves als seine Ziele nach der Ankunft in Berlin.

Alves reiste im Januar 2000 mit ins Winter-Trainingslager nach Portimao an der Algarve, wo er ab sofort unter ständiger Beobachtung stand. Der eigenwillige und exzentrische Typ brauchte längere Zeit, um in Berlin heimisch zu werden und sich an Tempo und Athletik in der Bundesliga zu gewöhnen. Erst in seinem achten Ligaspiel, am 18. März 2000, schoss er sein erstes Bundesliga-Tor für Hertha – beim 1:1 gegen den FC Bayern München vor 74.000 Zuschauern im Olympiastadion. Drei Tage zuvor avancierte er zum Berliner Torschützen in der Champions League beim großen FC Barcelona, als das Team von Jürgen Röber im Camp Nou mit 1:3 unterlag. Vier Treffer wurden es in der Rückrunde für Alves in der Liga.

Sein ganz großer Tag sollte am 30. September 2000 folgen. Hertha empfing im Olympiastadion den 1. FC Köln. 38.000 Zuschauer waren bei sonnigem Wetter gekommen, die bald Augenzeuge eines denkwürdigen Moments werden sollten. Köln führte schon 2:0 und erst 28 Minuten waren gespielt. An der Seitenlinie rannte Trainer Röber aufgeregt auf und ab, Manager Dieter Hoeneß eilte wutentbrannt ob des Resultats von der Tribüne hinunter zur Trainerbank. Derweil standen Alves und Michael Preetz am Anstoßkreis, um das Spiel fortzusetzen. Preetz tippte den Ball ganz kurz an, Alves ging nur zwei Schritte und schlug den Ball direkt Richtung Kölner Tor. Der Ball flog und flog und senkte sich über den verdutzten FC-Keeper Markus Pröll ins Netz – 1:2!

Großes fußballerisches Potenzial: Alex Alves am Ball im Ligapokalfinale 2001 gegen Schalke 04 (rechts Marco van Hoogdalem). Hertha siegte 4:1, Alves erzielte das 3:1. Foto: imago images/contrast
Showtalent: Alex Alves im Februar 2003 zu Besuch in der Komischen Oper bei der brasilianischen Choreographin Deborah Colker zur Probe des Balletts Casa. Foto: imago images/Wagner/Koch

Die Fans jubelten, viele hatten den Schuss aber gar nicht richtig gesehen, weil sie noch über die Kölner Treffer diskutierten. Hertha drehte das Spiel und gewann noch 4:2. Im Mittelpunkt stand Alves, der aus 52 Metern Entfernung gezielt hatte.Der Treffer wurde in der ARD zuerst zum „Tor des Monats September“ gekürt und später zum „Tor des Jahres 2000“ gewählt. „Das war das schönste Tor in meinem Leben“, erzählte Alves später. In drei Jahren bei Hertha kam er in 81 Bundesligaspielen auf25 Treffer.

Neben seinem Traumtor gegen Köln und etlichen starken Auftritten sind aber vor allem seine unzähligen Eskapaden außerhalb des Rasens im Gedächtnis der Fans geblieben. Legendär sind seine unglaublichen Ausreden, wenn er – wie so oft – zu spät zum Training erschien. Er verpasste angeblich die Uhrenumstellung auf die Sommerzeit, er kam nicht aus der Tiefgarage, weil die Schranke im Parkhaus nicht funktionierte. Bei einem Arztbesuch kroch er während eines MRT aus der Untersuchungsröhre, weil er Hunger hatte. Rund 130.000 Euro an Strafen musste er wegen Disziplinlosigkeiten an den Klub zahlen. Legendär auch sein Auftritt bei einer Weihnachtsfeier der Mannschaft, als er in einem weißen Pelzmantel erschien.

2003 trennten sich die Wege und Alves kehrte in seine Heimat zurück, der Anfang vom Ende einer hoffnungsvollen Karriere. Alves trennte sich von seiner Frau Nadia Franca, wechselte oft den Verein und erkrankte schließlich als ein Profi, der nicht mehr viel von seinem üppigen Salär besaß. Eine Chemotherapie schlug nicht an und Alves starb im November 2012 im Alter von 37 Jahren. Eine seltene Knochenmarkserkrankung konnte er nicht besiegen. Sein Teamkamerad Pal Dardai sagte damals: „Fußballerisch hatte Alex mit das größte Potenzial von allen Profis, die je in Berlin gespielt haben.“

Alves war ein Mann für die großen Momente auf dem Platz, die er aber in Berlin zu selten gezeigt hatte. Im Juni 2013 ehrten ihn zahlreiche ehemalige Mitspieler bei einem Benefizspiel für seine Frau und seine Tochter im Jahn-Sportpark. Es gab viele Tränen auf dem Rasen und auf den Tribünen.

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Trauer um Alex Alves: Vor dem Heimspiel von Hertha BSC gegen den FC St. Pauli haben Fans am 19. November 2012 vor dem Osttor des Olympiastadions Kerzen aufgestellt. Foto: imago images/Wagner/Koch
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